Akazien: Vor Stacheln wird gewarnt!


Staub, Staub, Staub ...!


Massai-Zwiegespräch unter'm Leberwurstbaum


Alle Menschen sind neugierig - auch die scheuen Massai ...


Eine Giraffenspur im Sand


Auch die Schnecken sind größer als bei uns


Schirmakazien und trockenes Buschland säumen den Weg


Kinder in ihren Schuluniformen


Kilimanjaro über roter Erde


Die Tankstelle von Kimani


Markttag in Kimani


DAS Verkehrsmittel im Busch - Massai auf Fahrrad


Gut beschirmt zum Markt - Massaifrauen in Kimani


Das Gästehaus "Kibo Slopes Cottages" in Loitokitok

 

Von den Chyulus nach Loitokitok -
                                          Der Tag des Staubes

Nur wenige Morgen eines Menschenlebens können mit einem derartigen Anblick aufwarten: Die Terrasse, auf der wir logieren, liegt zwischen zwei Hügeln und bietet freie Sicht nach Westen. Dort thront die Skyline des Kilimanjaro über einer Wolkendecke und scheint uns geradezu magisch anzuziehen. Alle Fototechnik arbeitet nicht annähernd so perfekt, wie das menschliche Auge. Auf Fotos verschwimmt der mächtige Berg im schieren Morgendunst. Roland ahnt das mit den Worten „das ist eines der Bilder, bei denen ich mich später fragen werde ‚warum hast du das gemacht“ voraus, drückt aber dennoch seinen Auslöser. Dem Tagesauftakt sehen wir wieder in ausgezeichneter Stimmung und voller Tatendrang entgegen. Das Frühstück beweist - wie künftig alle gemeinsamen Mahlzeiten - dass Eile aus unserem Sprachschatz gestrichen wurde. So ist es an diesem Morgen und wird es jedes Mal sein: Nach und nach, zögerlich, versammelt sich die „Tafelrunde“ um den Tisch, nicht selten vom Guide ein weiteres Mal „ermahnt“, dass doch das Essen fertig sei … Ines und ich sind oft die oder zumindest unter den ersten - immerhin haben wir letztes Jahr in Bolivien die Morgens- Aufsteh-und-Einpack-Zeremonie reichlich geübt. Und tatsächlich läuft unser morgendliches Manöver ziemlich routiniert ab. Zu zweit ist man ziemlich im Vorteil, was zum Beispiel das Verpacken der Schlafsäcke angeht: Einer rollt und die andere assistiert. Dann hält einer die Rolle und die andere stülpt den Packsack drüber. „Ratzfatz“ geht auf diese Weise, wobei man sich alleine schier die Finger bräche …

Unser Tagesprogramm sieht zunächst einige Kilometer und Stunden Wanderung in tiefere Gefilde der Chyulu Mountains vor, um dort wieder den Kleinbus zu besteigen und nach „Loitokitok“, an der kenianisch-tansanischen Grenze zu fahren. Dort werden wir die letzte Nacht vor dem eigentlichen Kili-Trekk in einem „Gästehaus“ verbringen - was immer diese Unterkunftskategorie auch bedeuten mag. Jedenfalls verspricht sie eine feste Behausung und eine Dusche!

Die Aussichts- und Nächtigungsterrasse liegt ein paar Minuten oberhalb und hinter uns. Ennok warnt vor den spitzen Stacheln der Akazien. Sicher nicht grundlos, denn bisweilen muss man sich recht nahe an den pieksenden Auslegern kleiner bis mittelgroßer Vertreter dieser Baumart vorbei drücken. Ennok folgt zunächst keinem durchgängigen Weg, nutzt allerdings von Zeit zu Zeit Pfadspuren, die offensichtlich von weidenden Tieren stammen. Bewegen wir uns auf felsigem Untergrund, so braucht man kein Geologe sein, um die eindeutig vulkanische Herkunft der Gegend zu erkennen. Einst wälzten sich hier Lavaströme zu Tal, wie man sie aus diversen Fernsehberichten vor Augen hat. Mancherorts stauten sie sich an Hindernissen und erstarrten als niedrige, wulstartige Felsbarrieren, die wir im Abstieg überschreiten.

Meist treffen unsere Füße jedoch auf Erde, die infolge Trockenheit und Abschüssigkeit des Geländes bei jedem Schritt vor allem eins erzeugt: Staub, Staub und immer wieder Staub. Da der leichte Morgenwind aus tieferen Regionen heraufweht, knirscht der Staub der Vorderleute bald zwischen meinen Zähnen. Also halte ich Abstand. Genau genommen geht es mir dabei wieder nicht um mich, die Kamera in meiner Hand möchte ich schützen. Wegpacken hätte keinen Sinn, weil ich ständig irgendein Motiv erspähe und es als Trophäe im Memory mit nach Hause nehmen möchte …

Ein paar hundert Meter weiter und tiefer, auf einer kleinen Ebene im ansonsten hügeligen Gelände stehen ein paar lang gezogene, aus Stein errichtete Gebäude. Es handelt sich um die Schule für alle Kinder dieser Gegend. Darüber hinaus beherbergt eines der Häuser die „Health Station“, wo die Menschen ambulante medizinische Hilfe bekommen können. Unser Weg führt in deutlichem Abstand an diesen Einrichtungen vorbei und kreuzt denjenigen zweier Massaifrauen, die eigenhändig gefertigte Souvenirs verkaufen wollen. Allerdings bin ich ziemlich überzeugt, dass diese Begegnung kein Zufall ist. Von unserem Hiersein weiß mit Sicherheit die ganze Umgebung und welchen Weg wir nehmen, dürfte den geschäftstüchtigen Massai auch in keiner Phase verborgen bleiben. Eine Bemerkung Ennoks, dass diese Frauen sicher nicht die letzten heute gewesen sein werden, bestätigt meine Vermutung. Lächelnd betrachten die Fremden das Angebot - allein sie lehnen dankend ab.

Die afrikanische Sonne heizt uns bereits seit den frühen Morgenstunden des Marsches mächtig ein. Die jetzt eingelegte Trinkpause ist höchst willkommen. Im Halbschatten einer niedrigen Akazie, mit den Füßen in sohlentiefem Staub stehend, nehmen alle ein paar kräftige Züge aus der Trinkflasche. Wie gestern hat Ennok auch heute wieder ein Walkie Talkie in der Hand. Das ist unsere Verbindung zur Außenwelt und zum motorisierten Team des Camps. Niemand misst dem Gerät offen Bedeutung bei und mir ist auch nicht bekannt, dass jemand danach gefragt hätte - beruhigend ist es trotzdem, im Notfall einen Ruf absetzen zu können.

Schon kurz nach diesem Stopp wechseln wir die Richtung: Rechts ab und bis auf weiteres auch mit wesentlich weniger Gefälle. Zunächst scheint es, als entspräche die neue Orientierung eben dem für uns notwendigen Weg … Die Route berührt nach kurzem Marsch die Behausung einer Großfamilie. Die Hütten sind aus Lehm errichtet, der von einem hölzernen Korsett gehalten wird. Die grasgedeckten Dächer scheinen auch starke Regengüsse abhalten zu können. Um die Behausungen hält ein mannshoher Zaun aus Büschen und Dornenreisig Eindringlinge wie Blicke vom großzügig bemessenen, baumbestandenen Innenhof fern. Wir sind bis auf etwa dreißig Meter heran gekommen, als in Windeseile, bestimmt auf entsprechendes Kommando, Groß und Klein aus dem mit einer Tür gesicherten Anwesen strömen und sich neben dem Weg sitzend für uns in Positur bringen. Gleichzeitig errichten sie eine kleine Auslage mit Gegenständen, die unsere Neugier und Kauflust wecken sollen. Ennok bleibt stehen und tauscht mit dem Chef der Sippe Neuigkeiten aus. Also verharren auch wir und ich nehme mehr oder weniger scheu die ganze Szene in mich auf. Wie schon zuvor, ist kein Geschäft mit uns zu machen, das wird ihnen sicher schnell klar. Wir wenden uns zum Gehen und der hoch aufgeschossene Schwarze begleitet uns ein Stück. Er trägt ein kurzes weites Hemd und eine hellgraue Hose. Das um die Schultern geworfene rote Tuch mit blauem Karomuster und der Stock in der Hand kennzeichnen ihn dann doch wieder als stolzen, der Tradition verpflichteten Massai.

Ennok unterbricht den lebhaften Dialog mit dem Massai und zeigt uns einen speziellen Baum - den Leberwurstbaum. Der heißt im Deutschen wirklich so, wie wir in seinem Reiseführer lesen können. Dem Volk der Massai dienen seine länglichen, großen Früchte, die tatsächlich deutschen Leberwürsten nicht unähnlich sind, zur Bereitung eines Bieres, dem wohl nicht wenige kräftig zusprechen … Vier Kinder aus dem Clan haben sich langsam wieder an uns heran „geschlichen“. Diese Menschen sind von einer sehr scheuen Freundlichkeit, aber neugierig wie alle. Und wenn „Big Boss“ sich uns schon für ein kurzes Stück des Weges angeschlossen hat, warum sollten dann nicht auch die Kinder ihrer Neugier die Zügel schießen lassen. Intensiv mustern sie die Fremden aus der Nähe. Damit ist es um meine Zurückhaltung geschehen und ich schieße meine obligaten Fotos. - Zeit sich zu verabschieden. Der Massai und seine Kinder bleiben zurück.

Die Landschaft hat sich immer weiter verändert, je tiefer wir kamen. Hier überwiegt die Vegetation des völlig trockenen Buschlandes. Selbst die mitunter sehr breiten Schirme der Akazien spenden nur Halbschatten, da ihre Belaubung sehr licht ausfällt. Der extrem staubige, längst sehr flach verlaufende Weg besteht aus dunklem, körnigem Sand. Es ist sehr warm geworden. Jeder Blick zur Seite, in das mal lichte, bald wieder dichtere Dickicht endet in demselben Gedanken: Eigentlich fehlen jetzt nur noch die Tiere. Und es würde mich wirklich nicht wundern, wenn da plötzlich der lange Hals einer Giraffe aus dem Gebüsch ragte oder demnächst ein Rudel Zebras grasend in der Deckung stünde. Doch kein größeres Tier gibt sich die Ehre. Ringsum Stille, die nur von unseren Schritten und Gesprächen durchbrochen wird. Wir stoßen auf einen vergleichsweise riesigen Ballen von Tierdung. Elefantenlosung! Und dann lässt Ennok die „Katze aus dem Sack“: Wir weichen heute von dem sonst üblichen Weg der Gruppen ab. Schon unser Team hat ihm gestern berichtet und „Big Boss“ bestätigte vorhin, dass im Bereich der sonst üblichen Route Elefanten gesichtet wurden. Um uns nicht zu gefährden wählte Ennok diese Variante des Weges. Ein merkwürdiges Gefühl: Einerseits fällt es mir schwer, die sanften Riesen als Bedrohung zu begreifen und so bedauere ich natürlich, dass eine Begegnung ausgeschlossen scheint. Aber dann ist auch wieder klar, dass mein Gefühl von vorhin, bei jedem Blick ins Dickicht, mehr als nur real war. Hier kann uns tatsächlich jederzeit ein größeres Wildtier begegnen. Auch eine Giraffenspur, die Ennok uns wenig später als Abdruck im Staub des Weges deutet, verstärkt den Eindruck nahen Wildes.

Wie so oft hänge ich fotografierend ein Stück hinter der Gruppe zurück, als plötzlich zwei hundegroße Tiere mit „Affenzahn“ von rechts nach links über den Weg rasen und im Dickicht verschwinden. Niemand außer mir hat sie bemerkt. Und ich kann sie nicht einmal beschreiben, so blitzartig wechselten sie die Seite. Ich erzähle nur Ines davon und verzichte auf eine Nachfrage bei Ennok, was das wohl gewesen sein könnte. Der hat im Sand des Weges das Haus einer Schnecke aufgehoben. Länglicher als Schneckenhäuser für gewöhnlich aussehen, misst es sicher insgesamt 15 cm! Als er es mehr oder weniger achtlos wegwirft, protestiert Inge. Da keiner das Souvenir haben möchte, verschwindet es in ihrem Rucksack und ziert jetzt vermutlich eine Ecke ihres Hauses … Von einer mächtigen Euphorbie ist noch zu erzählen. Nein, das ist kein Tier sondern stacheliges, florales Leben, das viele von uns zu Hause in der Wohnung hegen, pflegen und gerne mit Kakteen verwechseln. Hier - mitten im Busch - steht ein Exemplar, das die erste Etage eines Wohnhauses komplett verdecken könnte. Das Erdgeschoss nicht, denn mit der Erde ist die Krone über einen völlig verholzten, sicher steinharten Stamm verbunden.

Nach vier Stunden kommt der heutige Endpunkt unserer Wanderung in Sicht: Ein uralter, riesiger Baobab - zu deutsch Affenbrotbaum. Der Kleinbus parkt hier mit Ali, dem Fahrer. Und die Lunchboxen stehen für das Mittagsmahl bereit. Dann warten da noch vier, in bunte Gewänder gehüllte, Frauen. Deutlich abseits stehend, beobachten sie jede unserer Bewegungen. Ab und an gibt’s auch was zu lachen. Wahrscheinlich reizt sie diese oder jene ungewohnte Handlung der Fremden. Nachdem wir, im Schatten eines anderen Baumes sitzend, über den wieder einmal leckeren Inhalt der Lunchbox „hergefallen“ sind, bekommen die Frauen ein für uns unsichtbares Zeichen. Zügig nähern sie sich jetzt und wieder werden die bekannten Souvenirs feil geboten. Doch auch dieses Mal müssen die Händlerinnen unverrichteter Geschäfte wieder ihrer Wege ziehen. Wir besteigen den Bus und bereiten uns innerlich auf eine weitere Demonstration von Alis Fahrkünsten vor.

Mit Ennok auf dem Beifahrersitz braust Ali durch die zunächst noch mit Akazien und Buschwerk bestandene Ebene. Allein er kommt nicht weit, als ihn der erste Aufschrei aus dem Fonds sofort langsamer fahren und zuweilen auch stoppen lässt: Tiere! Zebras tummeln sich vor dem Fenster, Antilopen wenden sich zur Flucht und sogar mittelgroße Gnuherden grasen nur wenige hundert Meter vor der Scheibe. Geduldig bremst Ali für seine „Clients“ immer wieder ab und hält mehrere Male an, bis jeder seine Tierfotos im Kasten hat. Minuten später wird klar, warum sich die Wildtiere gerade hier, in einem scheinbar völlig trockenen Abschnitt vor den Chyulus so zahlreich aufhalten: Es gibt Wasser! Der Bus „durchwatet“ ein veritables Flussbett, das an seiner tiefsten Stelle noch reichlich Wasser führt. Unseren Kategorien gemäß formuliert ist das sicher nicht mehr als ein Bach, aber hier bildet er die Lebensader für Mensch und Tier.

Dann nimmt Ali tatsächlich Fahrt auf und von Zeit zu Zeit gilt es, die Fenster blitzartig zuzuschieben, weil ansonsten der über dem Fahrzeug zusammenschlagende Staub der Straße in den Innenraum dringt und sich auf sieben Schleimhäute legt. Vorzugsweise rächt sich die Piste auf diese Weise, wenn Ali vor Schlaglöchern oder felsigen Passagen gewaltig runter bremsen und im Schritttempo weiter fahren muss. Sobald die Sicht wieder klar wird, präsentiert sich der Kili vor dem Seitenfenster mit dem üblichen Wolkenkranz. Ein majestätischer und Respekt einflößender Anblick. Wie gerne stiege ich für ein Foto aus, um den Berg über dieser herrlichen Landschaft abzulichten. Aber Ali tritt aufs Gaspedal, als gälte es dem Leibhaftigen persönlich davon zu fahren. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, er nach der Ankunft aber seiner „sportlichen“ Fahrweise wegen als Erklärung nachschiebt: Es ist durchaus gefährlich, in der Ebene zwischen Chyulus und Kili zu langsam unterwegs zu sein oder gar häufiger anzuhalten. Die Armut der Menschen dieses Landstrichs führte schon zu Überfällen auf Touristen, von denen jeder Einheimische weiß, dass sie vergleichsweise mit unvorstellbarem Reichtum gesegnet sind.

Wir wissen das nicht und erfreuen uns am Bild der wenigen Menschen, die auf dieser Fahrt zu sehen sind. Kinder sind es zumeist um diese Zeit. Kinder in ihren gelbgrünen Schuluniformen, ganz offensichtlich auf dem Heimweg. Viele von ihnen winken uns im Vorbeifahren zu und wir winken zurück. Das heißt die anderen winken und ich versuche aus dem fahrenden Vehikel das eine oder andere Foto zu schießen. Dann ist es wieder einmal so weit. Ok, es hätte attraktivere Geländeabschnitte gegeben, aber Ines hält ja immer bis kurz vor der Katastrophe aus. Da es aber für uns Europäer hier kaum einen unattraktiven Ort gibt, freue ich mich trotzdem über den Halt und kann nun endlich den Kili über der Landschaft ablichten. Rot ist die dominante Farbe im Gelände geworden. Rot ist die Erde und rot ist der Staub, der beidseits der Piste jegliches Geäst überzieht. Herrlich das Blau des Himmels, darin das wie von zarter Feder gezeichnete Abbild des Kili über dem kräftig irdenen Rot des Bodens … Und schon rasen wir weiter, nicht wissend, dass dieser Notdurftstopp schon ein gewisses Risiko bedeutete.

Im Ort Kimani wird uns Ennok verlassen. So ist es ausgemacht. Je näher wir dem Ort kommen, umso stärker wird der „Verkehr“. Verkehr bedeutet hier Fußgänger und … Radfahrer! Es ist ein anfänglich kurioser und in gewisser Weise auch lustiger Anblick, den Männern (ich habe keine einzige Frau mit Bike gesehen!) auf ihren Fahrrädern zu begegnen. Durchwegs ebenso einfache, wie robuste Konstruktionen sind das. Manche Modelle verfügen gar über einen Rahmen mit zwei Oberrohren zwischen Steuerrohr (Lenker) und Sitzrohr (Sattel), was die Lebensdauer wahrscheinlich deutlich erhöht. Und die Gabeln der Vorderräder scheinen aus besonders dickem Stahlrohr gefertigt. Räder mit großem Durchmesser verbessern die Geländegängigkeit und den Komfort - auf diesen Pisten sicher unumgänglich notwendig. Das nächste Stück asphaltierte Straße befindet sich in unerreichbarer Ferne, 30 bis 40 km von hier, vor der tansanischen Grenze, was wir aber auch erst in ein paar Tagen auf der Rückfahrt vom Kili erleben werden.

Dann durchfahren wir - Kimani ist nur noch Minuten entfernt - eine Zone mit besonders beeindruckend hohen Akazien und weidenden Schaf- und Ziegenherden. Was den Staub angeht, wirkt eine ziehende Herde wie ein kleiner Sturm und es wird mir ein ziemliches Rätsel bleiben, wie die begleitenden Hirten in dieser Atmosphäre noch atmen können. Unsere Dreckfahne kann sie folglich kaum stören. Wieder sind es Kinder, die uns mit einem Lächeln zuwinken. Irgendwie ist gar keine Piste mehr erkennbar. Der Boden ist hier so hart und kahl gefressen, dass man überall rasen kann. Schon ein paar Minuten orientiert sich Ali parallel zu einem hohen (Weide-?) Zaun. Wen oder was der trennt ist nicht erkennbar. Jedenfalls passieren wir ihn an einem Durchlass und kurz hinter dieser Stelle rollt der Kleinbus dann mit stark vermindertem Tempo zwischen den ersten Hütten von „Kimani“. An einer Straßenecke vor der Tankstelle des - pardon - Kaffs halten wir. Ennok steigt aus und unsere Absicht, von ihm Abschied zu nehmen, lässt sich einstweilen noch nicht verwirklichen. Ennok und Ali klären das Geschäftliche. Verschiedene Papiere spielen dabei eine Rolle und Geld wechselt den Besitzer. Vermutlich bekommt unser Guide seinen Lohn. Dazu empfängt er ein Trinkgeld von uns und zum Lebewohl drückt jeder seine Hand. Ennok ist ein stiller, bescheidener, überaus sympathischer Mensch und war uns ein toller Guide in den Chyulus.

Es bleibt keine Zeit mich gedanklich weiter mit Ennok auseinanderzusetzen. Die Fahrt durch „Kimani“ wirft mir massenhaft Motive vor die Linse und der Verschluss meiner Spiegelreflex klickt ohne Unterlass. Die quirlige, bunt exotische Szenerie dieses staubigen Nestes wird von unerwartet vielen Menschen belebt. Man hält Markttag. Schon die Straße mit Geschäften und Offices ist voller Menschen. Menschen in traditioneller Gewandung der Massai ebenso wie solche mit moderner, funktioneller Bekleidung westlichen Zuschnitts. Hier werden Plastiktaschen in allen Größen, Farben und Formen feilgeboten, dort haben Landfrauen ihr Gemüse- und Obstangebot auf dem Boden ausgebreitet. Dann passieren wir den eigentlichen Marktbereich, hinter einem eingezäunten Areal. Von außen ist nur das Durcheinander der grob gezimmerten und mit Stoff- oder Plastikbahnen gegen die Sonne abgedeckten Stände zu erkennen.

„Kimani“ ist Geschichte. Auf der nicht allzu schlechten Ausfallstraße gibt Ali wieder Gas. Der bunte Aufmarsch dem Markt zustrebender Menschen ebbt langsam ab. Trotzdem findet meine Kamera auch hier noch herrliche Motive: Massaimänner und -frauen in ihren bunten Gewändern, Hirten, die ihre Tiere Richtung „Kimani“ (zum Markt?) treiben, zwei Massai auf einem (!) Fahrrad, Brennholz schleppende Frauen, dann zwei Damen mit einem Regenschirm gegen die Sonne, winkende Kinder und die jetzt schon nicht mehr so kurios wirkenden Solo- Radfahrer. Massai sind scheue Menschen und werden nicht gerne fotografiert. Aus dem fahrenden Auto heraus lässt sich das alles mit der gebotenen Zurückhaltung ablichten - denke ich. Dann fühlt sich dennoch jemand in seinen Persönlichkeitsrechten beschnitten. Just als Ali schlaglochbedingt sehr langsam fahren muss, passieren wir einen besonders malerisch wirkenden Massai, der sich ein junges Schaf um die Schultern gelegt hat. Sicher ist er zum Markt unterwegs, um es zu verkaufen. Er bemerkt meine Kamera, protestiert, als das Bild längst geschossen ist, und kommt drohend auf den Bus zugelaufen. Bevor er in seiner Entrüstung an die Scheibe pochen kann geschieht zweierlei: Ali gibt wieder Gas und Inge verpasst ihm mit ihrer Kamera einen „Blattschuss“ … Zwar lachen alle. Ich kann mich dennoch nicht von dem Gefühl freimachen, einem Menschen zu nahe getreten zu sein und verordne mir noch mehr Dezenz als bisher.

„Kimani“ und „Loitokitok“ trennen nur 15 Kilometer. Ich weiß nicht was wir erwartet haben. Absichten von „Einkaufsbummel“ bis „auf die „Post gehen und Briefmarken kaufen“ machten allenthalben die Runde. Am Ortseingang sehen wir zunächst ein Schlagbaum, die kenianische Grenzstation. Zwischen hier und der eigentlichen Grenze liegen zwar noch vier Kilometer Straße aber dabei handelt es sich um eine Art Niemandsland, für das sich so recht niemand verantwortlich fühlt. Gleich hinter dem Schlagbaum geht es links ab in eine Nebenstraße, die direkt zum Gästehaus, den „Kibo Slope Cotages“ (1800 m), führt. Von „Loitokitok“ bekommen wir nur ein paar staubige Hinterhöfe zu sehen, was letztlich jegliche Absichten zu „Ortsbesichtigungen“ vergessen macht. Das Gästehaus vermittelt äußerlich einen guten Eindruck, der sich im Innern bestätigt, als Ines und ich dann das saubere, schlichte Zimmer beziehen. Mückennetze über den Betten verdeutlichen, dass wir hier Moskitos und Malaria zu fürchten haben. Später, vor dem Schlafengehen, müssen dann noch ein paar Eindringlinge dran glauben. Badelatschen beenden ihr winziges, filigranes Leben. Eine hinterlässt einen ziemlichen Blutfleck und dokumentiert im „Hinscheiden“, dass der „Feldzug“ durchaus begründet war …

Nach der überaus angenehmen Dusche finden wir die drei anderen auf der Terrasse. Sie zogen es vor, erst einen Kaffee oder Tee zu trinken und sich dann dem Vergnügen fließenden Wassers hinzugeben. Wir lösen sie ab und vertreiben uns mit Postkartenschreiben und Lesen die Zeit bis zum Abendessen.

Am Abendessen ist eigentlich nur eine, dafür jedoch überaus peinliche Situation erwähnenswert, die uns ein französisches Paar vom Nebentisch bescherte. Den Hergang zu erzählen erspare ich mir. Jedenfalls ging es darum, dass die Französin vollkommen erbost über den entgangenen Nachtisch, das süße Naschwerk von unserem Tisch „entwendete“. Dies geschah derart rüde und bar jeglichen Anstandes, dass sie sich am nächsten Morgen genötigt sah, noch einmal zu erklären, warum sie so sehr im Recht gewesen war … Eine kleine Entschuldigung wäre angebracht gewesen und hätte sie rehabilitiert, so sank ihr „Stern“ nur noch tiefer.