Von Tansania nach Kenia mit dem Fahrrad ...


Die Entwicklung im Transportwesen: Von der Holzschubkarre zum Lkw ...


Los geht's auf der "Nalemuru Route"


"Kihamba" - Landwirtschaft an den Hängen des Kilimanjaro


Im Dreck spielt es sich am schönsten


... hier kommen die Geschwister ...


... und Papa repariert die Schubkarre


Schönheiten des Regenwaldes ...


Vielfalt der ...


... Formen ...


... Farben ...


... und Zeichnungen!


Hochmoore an den Hängen des Kilimanjaro (2500 m)

Erster Trekkingtag     -
                                         Der Tag der Blumen

Die Nacht unter dem Moskitonetz war angenehm, der Schlaf erquickend. Um 5:45 Uhr wird die Bettruhe allerdings auf „brutale“ Weise beendet: Der Weckruf des Imam, von einer vermaledeiten Lautsprecheranlage verstärkt, klingt absolut fremdartig im Ohr. Mein Unterbewusstsein wehrt sich gegen die akustische Bedrohung mit Aufwachen. Warum müssen Religionen durch unfrohes Getöse die Nachtruhe stören? Heimische Glocken trauen sich wenigstens nicht vor der zu moderater Zeit stattfindenden Frühmesse zu bimmeln … Der beim Kellner gestern Abend bestellte Weckdienst klappt dafür überhaupt nicht, aber das ist jetzt auch schon egal. Bis zum Frühstück um 7 Uhr vertreibe ich mir die Zeit mit Vorbereitungen für das Trekking. Zwar stehen unsere Trekkingsäcke schon gepackt an der Wand, es gilt aber noch einige Utensilien in den Rucksäcken zu verstauen, die wir selbst tragen. Die Trekkingsäcke haben am Vorabend meinen besonderen Unmut hervorgerufen. Davon war in den Unterlagen des deutschen Veranstalters Hauser nicht die Rede. Nur davon, dass jeder Träger das Gepäck zweier Touristen, jeweils maximal 8 bis 10 kg pro Person, in einer gesonderten „Tasche“ tragen wird. Tatsächlich erhielten wir zwei Trekkingsäcke, die derart eng geschnitten sind, dass wir es nur zu zweit schafften, Isomatte und voluminösen Schlafsack nebeneinander hineinzustopfen - ein heftiger Kraftakt. Vom erlaubten Gewicht, den acht Kilogramm, sind wir dagegen meilenweit entfernt. Man braucht eben auch nicht viel für 6 Tage Trekking.

Nach Frühstück und üblicher Verzögerung beginnt unser Bergabenteuer ganz unheroisch mit … bürokratischen Formalitäten.

Akt 1 bildet die Ausreise. Folglich ist ein Ausreiseformular auszufüllen - fast identisch mit demjenigen der Einreise aber in blau gehalten. Am kenianischen Grenzposten sind wir gestern Nachmittag ja einfach so vorbei gefahren … Nun bringt Ali Formulare und Pässe in die Station und kommt mit frischen Ausreisestempeln zurück. Bergwärts geht es dann ein Stück durch Loitokitok, wobei vom Ortskern immer noch nichts zu sehen ist und dann ein paar Kilometer durch das Niemandsland. Schließlich hält der Bus auf einen Zaun mit breitem Durchlass zu. Ein Schild, unmittelbar vor dem Zaun, informiert uns über den Grenzverlauf: „Now you are entering Tanzania.“ Ali fährt rechts ran und hält vor einer unscheinbaren blauen Holzhütte.

Akt 2: Einreise nach Tanzania. In Einreisekarten (der kenianischen Variante recht ähnlich) notieren wir unsere Identität. Pässe, Karten und Ali verschwinden zusammen im blauen Holzhaus. Warten, warten - pole, pole … Warum auch nicht, Eile ist das Letzte, was uns hier treiben könnte. Während die für uns unsichtbaren „Amtsorgane“ drinnen im blauen Haus ihre Arbeit verrichten, streunen wir zum Grenzzaun und machen ein paar Fotos. Südwest-Nordost- Ansicht des Grenzschildes: „Now you are entering Kenya“. Die umgekehrte Himmelsrichtung hatten wir ja schon gelesen. Ein bisschen fühle ich mich als „Jäger mit permanent schussbereiter Flinte“: Achtung! Da bahnt sich ein Schnappschuss an! Zwar gelingt es mir just in dem Moment den Auslöser zu drücken, als ein Radfahrer von Tansania nach Kenia fährt. Aber leider hält sich der Kili seit dem frühen Morgen mit einer undurchdringlichen Wolkendecke neugierige Touristenblicke „vom Leib“ und so ist das Licht für ein scharfes Foto bewegter Szenen zu schlecht … Und dann gibt es da noch ein Schild, das die hoheitliche Funktion der blauen Hütte amtlich dokumentiert. Drauf steht: „The United Republic of Tanzania - Ministry of Home Affairs - Immigration Department - Border Control”. Und ein roter Pfeil weist unmissverständlich in Richtung blaues Häuschen. Auf dem weitläufigen Areal der Grenzstation verteilen sich einige ungewöhnlich massiv und wohnlich aussehende Häuser. Außerdem gibt es hier einen Fußballplatz, das verlässlichste Zeichen für ein funktionierendes Gemeinwesen. Wieso nun ausgerechnet hier, im Bereich dieser ziemlich unbedeutenden Grenzstation, derlei landesuntypischer Luxus demonstriert wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Rauch steigt aus und zwischen den Gebäuden auf und etliche Bewohner bevölkern mehr oder weniger untätig Ein- und Ausgänge. - Scheinbar untätig oder unbeschäftigt herumstehende bzw. -sitzende Bewohner sind mir häufig im Vorbeifahren oder bei Stopps aufgefallen. Ob es sich dabei tatsächlich um Menschen ohne Beschäftigung handelte (Rate der Arbeitslosigkeit in Tansania ca. 40% bis 50%!), ob sie nur eine Pause machten, Feierabend hatten oder ob dies einfach den sichtbaren Ausdruck des allgegenwärtigen „pole pole!“ darstellte, blieb mir verborgen. Wahrscheinlich treffen alle genannten und noch mehr Gründe zu. - An diesem durch dichte Bewölkung etwas düsteren Morgen bilden die Weißen auf Trekkingkurs die bestaunte Hauptattraktion des Tages. Natürlich traue ich mich nicht, diese offen zur Schau gestellte, vielgesichtige Neugier mit der Kamera festzuhalten. Aber DIESEN Anblick muss ich jetzt unbedingt festhalten: Zwei Arbeiter hinter vorsintflutlichen Schubkarren auf Holzrädern haben gerade die Grenzlinie gekreuzt und streben in Richtung der Hütten. Flugs positioniere ich Ines in der betreffenden Richtung und täusche vor, ein Foto von ihr zu machen. In Wirklichkeit geht es mir um den „Kontrast der Jahrhunderte“. Tausend oder noch mehr Jahre technischer Entwicklung im „Transportwesen“ vereinigt in einem Foto: Ein moderner Lastwagen zum Transport von Baumstämmen und davor die beiden gezimmerten Schubkarren.

Ali hat im blauen Häuschen unsere Pässe zurück erobert und sammelt seine „Schäfchen“. Als Lohn des Wartens nehmen wir neue Eindrücke und den amtlichen Einreisestempel neben dem Visum mit auf die Reise. Wir rumpeln die Dorfstraße der Grenzstation bergwärts. Für Fotos ist es bedauerlicherweise zu dunkel. Nach ein paar hundert Metern biegt der Bus nach links auf eine frisch geschotterte Piste ab und wird schneller. Nach nur 10 Minuten erreichen wir das Dorf Nalemuru - Ausgangspunkt unseres Trekks - und biegen von der „Mainroad“ bergwärts in eine recht schmutzig wirkende Gasse ab. Zwischen unserem Gefährt und den mehr oder weniger ärmlich aussehenden Holzhütten bleibt wenig Platz. Für Sekunden beschleicht mich das unangenehme Gefühl, diesen Menschen sozusagen mitten in die „Wohnstube“ zu spähen, obschon ich nicht eingeladen bin. Dann ist da noch die Hoffnung, es möge doch kein Kind - selbstvergessen im Spiel - zwischen den Gebäuden hervorspringen, denn langsam fährt Ali auch hier nicht … Zu kurz ist diese Nebenstraße und zu hoch unser Tempo, um ein feststehendes Bild im Gedächtnis zu prägen. Aufwärts und entlang des Ortsrandes „orgelt“ der Bus Richtung Waldrand. In Höhe eines flachen Hüttenkomplexes mit einer Art Hof, hupt der Fahrer, behält jedoch Kurs und Geschwindigkeit bei. Es ist das Signal unserer Ankunft für die Trekkingmannschaft. Die Männer warteten offensichtlich in diesem Hof. Zweihundert Meter weiter, am Waldrand, vor dem Sitz des örtlichen Tour Operators endet der Trip. Ali verschwindet in einer der Hütten, um uns anzumelden. Während nach und nach die ersten Mitglieder unserer Mannschaft herüber kommen, entlädt Ali mit Helfern den Bus. Trekkingsäcke, Zelte und Ausrüstung der kenianischen Agentur „Kibo Slopes" Safaris landen unter den Bäumen des Waldrandes. Die eingetroffenen Männer machen sich zunächst über die Zelte her und proben deren Aufbau. Damit ist klar, dass bis zum Abmarsch noch einige Zeit verstreichen wird.

Für uns beginnt wenig später Akt 3 der Trekkingformalitäten. Der örtliche Manager des Tour Operators ruft uns in einem kleinen, nach allen Seiten offenen Pavillon zusammen. In einer großen Kladde hat sich jeder mit Namen, Geburtsdatum, Herkunft, Beruf, Passnummer und anderen Details zu registrieren. Ines erledigt das für uns beide, lediglich meine Unterschrift setze ich eigenhändig hinter die Zeile. Zu diesem Zeitpunkt verstehe ich noch nicht, welchen eigentlichen Zweck diese weitere, relativ unnütz anmutende bürokratische „Einlage“ verfolgt - heute schon: In Wirklichkeit soll die Registrierung sicherstellen, dass die nicht eben geringen Eintrittsgebühren vollständig der Verwaltung des Nationalparks zufließen. Das Permit wurde Monate vor unserer Reise noch einmal um $ 50,- pro Person erhöht (derzeitige Gebühren für den Kili Nat. Park: Erwachsene $ 60,- pro Tag, Kinder zwischen 10 und 16 Jahren $ 10,-). Und genau diese zusätzliche Summe fordert der Manager nun ein. Wer profitiert von diesem Geld? Wieder zu Hause lese ich, dass die Gelder aller Nationalparks in einen gemeinsamen Topf fließen, aus dem jeder Nationalpark entsprechend seiner Größe abgefunden wird. Der Kilimanjaro Nationalpark ist einer der kleineren, es fließt also weniger Geld zurück als eingezahlt wird. Ich mag mir nicht vorstellen, auf welchen staatlichen Konten die Überschüsse gebucht und wofür sie letztlich verwendet werden. Fest steht, von den auch für Touristen hohen Eintrittsgeldern kommt wenig bis nichts unmittelbar den Menschen der Region zu Gute … Da ich mir darüber vor Ort noch keine Gedanken mache, fühle ich mich auch nicht so „gemolken“, wie es sein könnte.

Akt 3 endet mit Vorstellung der Guides und der Köche. Außerdem übergibt mir der Manager eine Namensliste: Drei Guides werden uns führen, zwei Köche bekochen und 13 Träger die Ausrüstung von Lager zu Lager schleppen. Insgesamt also 18 Männer, die uns sechs Tage bei der Verwirklichung eines Traumes unterstützen. - Ich brauche in diesem Augenblick nicht über das Verhältnis „18 Schwarze arbeiten für 5 Weiße“ nachzudenken. Grundsätzlich habe ich das schon in Bolivien, Nepal und Ecuador bei ähnlichen Unternehmungen getan und innerlich dezidiert Stellung bezogen. Natürlich staune ich über die unerwartet hohe Zahl von Begleitern. Andererseits freue ich mich darüber, denn jeder Träger bedeutet einen Arbeitsplatz und nichts ist nötiger in diesem Land als Arbeit. Hinter den 18 Menschen stehen vermutlich 18 Familien, die es zu ernähren gilt. In Bolivien trugen Lamas und Pferde die Lasten und nur der bzw. die Besitzer der Tiere verdienten am Transport. Mir ist die afrikanische (und damals auch die nepalesische) Version lieber. Die meisten Träger waren auch immer „gut drauf“ und erwiderten unser „Jambo“ fröhlich, mit herzlichem Lachen und offenem Blick. Ich nehme das als Zeichen, dass sie ihren Job keineswegs als erniedrigend oder unangemessenen Frondienst empfanden. Derlei Befürchtungen haben ihre Ursache in Zeiten rassistisch geprägter Unterdrückung dieser Menschen durch Kolonialverwaltungen (erst die deutsche, später die englische). Eine Art „Erbsünde“, ähnlich unserer „braunen“ Vergangenheit, die uns ja auch immer wieder in vielfältigen Formen des „Hegens von Bedenken“ oder der „Selbstgeißelung“ einholt …

Schlusspunkt in Nalemuru: Ali hat sich verabschiedet und wir hoffen, ihn in ein paar Tagen auf der anderen Seite des Berges wiederzusehen. Der Manager übergibt Wort und Verantwortung an „Condrad Mathew“, den ersten Guide. Condrad hält ein Kurzbriefing: „William Francis“, einer der beiden Assistent Guides, wird jetzt mit uns aufbrechen. Er selbst wird sich hier noch um Köche, Träger und Ausrüstung kümmern und dann später folgen. Abschließend gibt er die wichtigste Devise für den Marsch aus: „Pole, pole!“ Exakt in dieser Weise zieht William dann mit uns gegen 9:45 Uhr in etwa 2000 Meter Seehöhe los. Am großen gemauerten Hinweissschild „Nalemuru Route“ wenden wir uns auf sohlentief staubbedeckter Piste bergwärts. Eigentlich ist mir dieses Schneckentempo zu langsam. Aber erstens ist es vernünftig so zu laufen und zweitens kommt entlang der Strecke nie Langeweile auf. Schon ein paar hundert Meter weiter müssen wir einem liegengebliebenen Laster über den Straßenrand ausweichen. Eine Reifenpanne zwingt die beiden Fahrer zu schweißtreibender Tätigkeit. Dann überholt ein Moped, Beleg dafür, dass es in dieser Gegend anscheinend auch Menschen gibt, die einen gewissen Wohlstand ihr eigen nennen …

Pole, pole in landwirtschaftlich geprägter Umgebung. Ich verstehe auch nicht ansatzweise was ich da sehe, obwohl mir die merkwürdige Bepflanzung der Felder schon ins Auge springt. Auf großen Flächen stehen junge Nadelbäume, zwischen denen Maispflanzen gedeihen. Und zwischen den Maisstängeln wachsen wieder andere Pflanzen. Kartoffeln, auch Sonnenblumen kann ich identifizieren, manch anderes Gewächs ist mir unbekannt. Ich denke darüber nicht nach, lediglich die jungen Nadelbäume lassen mich spontan eine „Wiederaufforstung“ vermuten. Was ich da tatsächlich sehe und nicht verstehe ist „Kihamba“! Unter Kihamba versteht man die über Jahrhunderte entwickelte Form der Feldwirtschaft am Kilimanjaro. Sie basiert auf der einfachen wie genialen Erkenntnis, dass verträgliche Pflanzen (Flach- und Tiefwurzelnde, schattenspendende und -suchende, usw.) in unmittelbarer Nachbarschaft gedeihen. Dadurch ist es möglich auf einem vergleichsweise kleinen Stück Land (ein Hektar) über 50 verschiedene Nutzpflanzen zu züchten und damit eine Familie vollständig zu versorgen. Der Ertrag reicht für die Ernährung und für etwas Handel, zum Einkauf anderer Gebrauchsgegenstände. Aber auch Heilkräuter ziehen die Menschen in den Kihamba-Kulturen. Diese Zusammenhänge erlese ich mir später zu Hause.

Jetzt fesseln andere Attraktionen meine Aufmerksamkeit. Zuvorderst sind das die Menschen entlang des Weges. Pole, pole, nähern wir uns einem Vater mit seinem Kind. Mein Fotografenherz beginnt geradezu ekstatisch zu pochen: Der Winzling sitzt mitten auf der staubigen Piste und spielt im Dreck. Papa nagelt derweil ein weiteres Brett über die Ladefläche seines hölzernen Schubkarrens. Und das Beste: Daddy lacht und erwidert offen und fröhlich unser „Jambo“, als ihm klar wird, dass die Weißen nun gleich fotografisch über ihn, seinen Sohn und natürlich auch die antiquierte Schubkarre herfallen werden … Aaaah ist das toll, endlich mal hemmungslos fotografieren … Aber es kommt noch besser! Aus der Hütte der Familie laufen noch zwei Kinder herbei, Junge und Mädchen, wahrscheinlich die Geschwister des Kleinen. Ich glaub das nicht! Fast könnte man meinen, das kleine Mädchen hätte sich für uns heraus geputzt. Da steht sie in ihrem am Saum halb zerrissenen, über und über verdreckten, graubraunen Kleidchen. Neugierig schaut sie und ein bisschen skeptisch. Ganz und gar weiblich trägt sie um Hals und Armgelenk eine Kette. Und wirklich unglaublich ist der hellblaue Strohhut auf ihrem Kopf, geschmückt mit einer Papierblume! Und Papa? Der arbeitet seelenruhig an seiner Schubkarre weiter. Ich kann mich irren, würde aber darauf wetten: Er ist sogar stolz darauf und genießt die Aufmerksamkeit der Fremden . Dem Winzling im Straßengraben ist das etwas zu unheimlich. Er bekommt Angst und beginnt steinerweichend zu weinen. Nicht einmal jetzt reagiert Papa unwirsch. Mit einem weiteren Lächeln und einer uns unverständlichen Bemerkung des Verstehens nimmt er den Kleinen auf den Arm und beruhigt ihn. Die „Sirene“ war uns Zeichen zum Aufbruch. Winkend und mit weiteren „Jambos“ nehmen wir Abschied.

Parallel zu unserem Weg, einen Steinwurf entfernt, verläuft ein vernehmlich in der Tiefe seiner kleinen Schlucht rauschender Bach. Die landwirtschaftlich ungenutzten Böschungen sind mit allerlei Bäumen gesäumt. Riesenhafte Euphorbien konkurrieren mit diversen Laubbäumen und das Ganze ist auf der unteren Etage mit Schlingpflanzen undurchdringlich verwoben. Dabei hat der Regenwaldgürtel noch nicht einmal begonnen. Mit schwerer Last auf Kopf, Nacken oder Rücken überholen uns nach und nach die Träger. Noch immer säumen Maisfelder den Weg. Die Kleinbauern beackern nicht nur ihre Felder, sie wohnen auch darauf. Mehrere Hütten sind zu passieren. So weit ich sehen kann, sind alle aus kräftigen, stabilen Stämmen gefertigt. Mit einfachen Lattenzäunen und grüner Bepflanzung wurden Höfe abgegrenzt und erstaunlich gut gegen Sicht von außen geschützt. Immer wieder wachsen sie plötzlich wie Pilze aus dem Boden. Kinder! Alles Jungs und alle nicht älter als 5, 6 Jahre. Die Neugier treibt sie aus den Hütten vor unsere schussbereiten Büchsen. Auch wenn sie mein Blitz ein wenig erschreckt, scheint es doch ein tolles Spiel zu sein, das „Sich-Zeigen“ und wieder „Wegrennen“ … Ob solcher kurzweiligen Verzögerung dauert es letztlich über eine Stunde bis wir den Rand des Regenwaldes vor uns haben. Und schon wieder steht der Tross. Grund sind diesmal die schon angekündigten Kolobusaffen im Geäst der Urwaldriesen. Meiner kurzen Brennweite sind sie da oben entzogen. Man erkennt ihr schwarzweißes Fell und den buschigen, weißen Schwanz. Eigenartig: So sehr mich Afrikas Tierwelt auch begeistert und in ihren Bann zieht - Affen, gleich welcher Art, interessieren mich herzlich wenig. Und so bin ich froh, als es weiter geht und uns der Regenwald endlich „verschluckt“. Von nun an wandern wir auf einem mit viel Aufwand regensicher befestigten und beidseits von einer Wasserrinne gesäumten Pfad. Die Frage nach dem Sinn kommt mehrmals auf und sie wird erst Tage später, im Morast des Abstieg auf der anderen Kili-Seite geklärt werden … Der Weg ist nicht die einzige Aktivität der Nationalparksverwaltung gewesen. Da gibt es noch einen „Waldlehrpfad“ und einen Rastplatz. Viele Bäume auf dem folgenden Kilometer sind mit Schildern in lateinischer und englischer Bezeichnung gekennzeichnet: „Schefflera goezenii“, englisch „octopus tree“ steht da oder auf einer anderen Tafel „Podocarpus falcatus“, englisch „East African Yellow Wood“.

Eine kurze Trinkpause am Rastplatz bleibt beileibe nicht die einzige Unterbrechung während des Pole-Pole-Aufstieges durch den Urwald. Alle paar Meter „zwingt“ mich eine neue Blüte zum Fotografieren. Groß sind sie nicht, leuchten aber allesamt in kräftigen Farben und setzen damit dem wolkengrauen Tag hübsche Glanzlichter auf. Die Vielfalt der Formen und Farben im Halbdunkel des herrlichen Regenwaldes versetzt mich in eine Art Fotorausch. Irgendwie muss ich diese Pracht mit nach Hause nehmen … Mit den Trägern hatte übrigens unser Guide Condrad schon vorzeiten zu uns aufgeschlossen. Jetzt wird seine Geduld auf die erste Probe gestellt. Sicher sind ihm die unablässig knipsenden Touristen längst vertraut. Aber war da je einer dabei, der so übertrieb, wie ich? In Ines finde ich wie gewohnt heftigste Unterstützung im Entzücktsein. Und wehe ich vergesse auch nur ein Blümelein fein säuberlich in Pixel aufgelöst in meinem Giga-Memory abzulegen. Früher presste man Blüten zwischen Buchseiten und nötigte mit den zweidimensionalen, farblich leicht verblassten Exemplaren den daheimgebliebenen Staunen ab. Dank digitalen Fortschritts ist das nicht mehr erforderlich. Heute „foltert“ man Freunde und Verwandte mit hunderten Fotos aus dem PC und verstärkt die Pein bei Bedarf aus dem Fundus von über Tausend Bildern.

Obwohl er ständig meinet- und Ines wegen warten muss, ist Condrad nicht im mindesten genervt. Im Gegenteil, er schiebt von sich aus gelegentliche Erklärungen und Hinweise zur Flora des Regenwaldes nach. Unter einem Hünen von Baum weist er auf die Parasitpflanzen hin, die es sich auf Stamm und Ästen bequem gemacht haben. Viele der Blattgestalten hier kommen einem bekannt vor und ganz sicher gedeiht die eine oder andere Verwandte in heimischen Wohnzimmern … Neben Affen und immer wieder aufflatternden Vögeln sind Ameisen die einzigen Tiere. In der Regenrinne seitlich des Weges hat sich eine Ameisenstraße gebildet. Myriaden der Insekten sind mit unbekanntem Ziel unterwegs. Mich schaudert bei dem Gedanken, ich könnte liegen bleiben und für die Ameisen ein unnatürliches Hindernis darstellen oder vielleicht sogar mehr als das …

So ur-plötzlich wie er begann, ist er auch zu Ende, der Ur-Wald. Wir haben etwa 500 Höhenmeter überwunden, stehen auf 2500 Metern über Meereshöhe. Auf der Nordseite des Kilimanjaro ist der Regenwaldgürtel deutlich schmäler als auf der regenreicheren Südseite. Als erklärter Regenwald-Fan kann ich also gespannt sein, was uns auf der anderen Seite im Abstieg erwarten wird. Aber daran denke ich derzeit überhaupt nicht. Die Spannung des bevorstehenden Höhenabenteuers lässt das nicht zu. Es kann viel passieren, bis wir - hoffentlich - in vier Tagen ganz oben stehen. Die Vegetation besteht jetzt aus mannshohen, mit vereinzelten Bäumen durchsetzten Büschen und Farnen. Undurchdringliches Gestrüpp, das erst nach und nach lockerer werden wird und dann in eine Art Heidelandschaft übergeht.

12:45 Uhr, Mittagsrast. Ein schön angelegter Rastplatz lädt zum Verweilen ein. Nur das Wetter will heute partout nicht mitspielen. Nicht das kleinste Loch zeigt sich im einheitlichen Grau der Wolken. Trotzdem schmeckt der Inhalt der Lunchbox und Hunger habe ich auch. Der Rastplatz liegt recht malerisch vor einer Brücke. Sie verbindet die Ufer eines der von den Hängen des Kili herabfließenden Bäche. Wasser dürfte das wichtigste, weil Leben spendende Gut sein, das der Berg seinen Bewohnern zur Verfügung stellt. Über diese Brücke setzen wir nach geraumer Zeit die Pole-pole-Wanderung fort. Die Vielfalt der Blumen bleibt uns in der Heidelandschaft treu. Die vielen Wasserläufe erzeugen in flacheren Abschnitten sogar kleinere Moorgebiete mit ganz eigenem Flair. Kaum zu glauben, dass wir uns in Höhen deutlich über 2500 m befinden. Ines’ und mein blühender Favorit an der Strecke ist nicht die endemische, mit großer Blüte ausgestattete „Kilimanjaroblume“ (heißt die so?), auf die Condrad irgendwann hinweist. Eine bezaubernd schöne, nur in wenigen Exemplaren vorkommende, leuchtend orangerote Lilienart hat es uns angetan.

Ohne Fingerzeig Condrads hätten wir den Wildwechsel übersehen. Er zeichnet sich aber eindeutig als Pfad zwischen Büschen und im niedergetretenen Gras ab. Condrad erläutert seinen staunenden „Clients“, dass es sich hierbei um einen Pfad handelt, über den Tiere, insbesondere Büffel, immer wieder vom Amboseli Nationalpark hier herauf wechseln. Bedenkt man die relativ geringe Entfernung - der Amboseli Nationalpark ist Luftlinie nur 20 höchstens 30 Kilometer entfernt - verliert diese Schilderung den Charakter von Jägerlatein. Und schon trampeln die schweren, massigen Viecher vor dem geistigen Auge über unseren Weg …

14:30 Uhr: Kaum eine Stunde nach der Mittagsrast kommen wir im „Sekimba Camp“ (2600 m) an. Die Zelte stehen natürlich schon und wir räumen unsere Siebensachen - vielmehr sind es auch nicht - ein. Wir wollen noch einmal aufbrechen und weitere ungefähr 150 Höhenmeter zur Verbesserung der Akklimatisation aufsteigen. Vorher steht jedoch noch ein weiterer überflüssiger Verwaltungsakt an. Es gibt eine Wachstation mit Aufseher in diesem Camp und ein Funkgerät. Und wir werden von Condrad aufgefordert, uns in der Kladde des Camps zu verewigen. Gleiche Größe wie in Nalemuru, identisch umfangreiche, gleichermaßen überflüssige Angaben. Oh Mann, wie weit muss ein Mensch gehen, wie hoch steigen, um diesem bürokratischen Schwachsinn zu entfliehen? Ines trägt mich wieder ein und ich kritzele meinen „Kaiser-Wilhem“ darunter. Diesmal schon bewusst eine Art „Schlangenlinie“, die mit meiner wirklichen Paraphe nicht die mindeste Übereinstimmung zeigt. Protest auf meine Weise.

Mit Condrad an der Spitze und William als Nachhut geht’s dann noch mal los. 150 Meter rauf und eben diese Höhendifferenz wieder runter. Knapp unterhalb der Wolkengrenze drehen wir um. Einzig bemerkenswertes Ereignis ist ein in und zwischen die Äste eines niedrigen Baumes „geklebtes“ Ameisennest. Schon das zweite dieses Tages. Und die „Rüttelprobe“ beweist auch bei diesem scheinbar verlassenen Exemplar, dass es mit tausendfachem Leben bestückt ist. Binnen Sekunden wimmelt es auf der Oberfläche, und immer mehr „Krieger“ drängen aus bisher unsichtbaren Löchern ins Freie.

Zurück im Camp ist „Teatime“ angesagt. Das Essenzelt wurde um eine Picknick- Sitzgelegenheit aus ortsfestem, schmalem Tisch und zugehörigen Sitzbänken herum aufgestellt. Auf dem Tisch liegt nun eine Tischdecke. Dosen mit Kaffee, Trinkschokolade und Milchpulver fallen zuerst ins Auge. Auch die große Thermoskanne ist nicht zu übersehen. Aber was ist das? Ein Tablett mit - ich traue meinen Augen kaum - frischem gesalzenem Popcorn, warmen gerösteten Erdnüssen und ein wenig Marie (zur Erinnerung des geneigten Lesers: das ist die Marke der von Roland kurz nach der Ankunft gekauften Kekse) lädt duftend zum Naschen ein. Zwanzig Minuten später ist davon nichts mehr übrig, „gefräßige Raupen“ haben alles vernichtet. Bis zum Abendessen vertreibt sich nun jeder auf seine Weise die Zeit. Ich hole meinen Block und skizziere die Ereignisse des Tages. Ines liest und die anderen werden ebensolchem Tun huldigen.

Das Dinner besteht aus heißer, schmackhafter Suppe, einem gleichermaßen gut schmeckenden Hauptgericht aus gebratenem Fisch (das hab ich hier oben am allerwenigsten erwartet) in Fett ausgebackenen Kartoffeln und einem Gemüse. Zum Nachtisch gibt’s - wie künftig jeden Abend - Früchte. Entweder frisch (Bananen, Mango, Orange und Melone) oder aus der Dose (Ananas). Mit Gesprächen lassen wir den recht kurz bemessenen Abend ausklingen.

Nach einer letzten Entleerung (ich hoffe nachts nicht allzu oft raus zu müssen) verziehen wir uns ins Zelt. Zur „Entleerung“ wurden auf dem recht großen, durch Büsche in mehrere Plätze aufgeteilten Camp feste Toilettenhäuschen errichtet. Eines habe ich mal probehalber benutzt. Dann stand für mich fest, dass ich diesen Ort des Ekels nur im äußersten Notfall wieder aufsuchen und im übrigen die Natur für diese Verrichtung belästigen werde. Diese tollen Häuschen gab’s in jedem Camp, bei jeder Hütte und auch schon mal auf freier Strecke, wo wenig Deckung das menschliche Bedürfnis verstecken konnte. Ich habe keines des „Etablissements“ dort oben mehr betreten … (Erste und einzige Erwähnung dieser Thematik).

.