Aufstieg im leicht nässenden Nebel


Rast an der ersten Höhle auf der Nalemuru Route


Die "mutige" Kili-Maus huscht durch's Blickfeld.


"Wie nah der schon ist ..."


"Siesta" vor dem Kibo und der zweiten Höhle


Blühende Schönheit in vulkanischer Erde

Zum Kikeleva Cave Camp  -

                                            Der Tag des Nebels

Deutlich vor der „offiziellen“ Weckzeit (7 Uhr) wache ich auf und sortiere meine Gedanken. Ich habe gut geschlafen, sehr gut sogar. Es ist dunkler im Zelt, als es eigentlich um diese Zeit sein sollte. Naheliegende Schlussfolgerung: Die Sonne wird von Wolken in ihrer Arbeit behindert. Der erste Blick nach draußen ist ernüchternd. Fette, nasse Wolken unterbinden jeden Fernblick, blauer Himmel Fehlanzeige. Es nieselt leicht aus Nebelschwaden - nicht gerade eine Einladung zum Wandern. Meine Stimmung ist dementsprechend gedämpft, bessert sich jedoch deutlich, nach Abschluss der lästigen Einpackrituale und der ersten Tasse heißem Pulverkaffee im Magen. Der Abmarsch verzögert sich. Wie es scheint ist die Kochtruppe noch nicht ganz eingespielt. Es dauert elend lange, bis die Guides die mit Heißwasser gefüllten Trink- und Thermosflaschen ins Kochzelt reichen. Immerhin können wir so einigermaßen sicher sein, dass das Wasser tatsächlich zum Sieden gebracht und den Keimen darin der Garaus gemacht wurde.

Um Viertel vor Neun ist es endlich soweit: Abmarsch in der „Anfangsformation“ Condrad, dahinter die „Touris“, als Nachhut die angeregt in Kisuaheli plaudernden Assistant Guides William und „Alex Mwakyusa“. Alex’ Stimme erinnert unwillkürlich an die des schwarzen US-Sängers Barry White. Natürlich nicht inhaltlich - Kisuaheli hört sich für mich oft an, als sprächen die Menschen mit Knoten in der Zunge - aber vom Timbre her. Sie ist extrem tief und so dunkel wie sein Gesicht. Außer dem anfänglichen Nieseln, gibt es aus der ersten Gehstunde nichts zu berichten. Wir tappen auf der „Autobahn“ in zuweilen dichtem Nebel bergwärts. Der Blick reicht maximal 20, 30 Meter und für Alleingeher hätte die Szenerie sicher etwas niederdrückend Gespenstisches. Bäume gibt es keine mehr. Dürre, mannshohe Sträucher ragen tot und regungslos in den dunkelgrauen Himmel. Heute leuchten die Blumen nicht. Matte Farben, feuchte Blätter, Stängel ohne jede Regung, Windstille. Das hier ist nichts für depressive Zeitgenossen.

Condrad mag sich nicht festlegen, ob und wann wir diese „Suppe“ unter uns lassen oder wann sie sich auflösen wird. Er antwortet ausweichend. Wahrscheinlich will er keine falschen Hoffnungen auf Sonne wecken, die wir später bei ihm „einfordern“ könnten. Haben ihn entsprechende Erfahrungen auf seinen 20 früheren Touren so vorsichtig werden lassen? Überhaupt zeigt er lieber als Safari Guide den Touristen die Tierwelt in anderen Nationalparks. Was den Bergführerjob weniger attraktiv macht , begründete er plausibel: Es ist anstrengender, unbequemer, kälter und man kann krank werden. Ob wir wollen oder nicht: Diese Sätze setzen anfänglich ein Fragezeichen hinter seine Qualifikation als Guide. Da man ihn auch nicht unbedingt als fröhlichen Menschen bezeichnen kann, zieht er uns erst später auf seine Seite. Am Ende werden wir wissen: Seine Kompetenz hatte die Sache im Griff und er tat alles erdenklich Mögliche, um den Trekk für uns zum unvergesslichen Erlebnis zu gestalten.

Die „Nebelfahrt auf der Autobahn“ nimmt kein Ende. Einzig positiver Aspekt: Niemand kommt entgegen und keiner überholt. Im Camp nächtigte lediglich eine weitere kleine Gruppe, bestehend aus zwei Touristen. Diese Nalemuru-Route (vielfach wird sie auch als „Kikeleva Route“ bezeichnet) ist nur im Aufstieg erlaubt. Angeblich, weil sie als Notrettungsroute freigehalten werden soll. Alles in diesem Nationalpark unterliegt der Regelung. Jede Begehung des Berges muss vorher exakt festgelegt und dann auch genau so ausgeführt werden. Abweichungen werden nur in Notfällen toleriert. Roland hat einen Höhenmesser dabei. Das barometrisch arbeitende Gerät ist zwar auf keine genaue Höhe geeicht. Aber er nimmt die bekannten Höhenangaben der Camps und Sehenswürdigkeiten als Bezugspunkt. Mitten hinein ins totale Grau und die in der Gruppe eingekehrte Stille verkündet er: „3000 Meter Höhe sind erreicht“.

11 Uhr. Es ist heller geworden, die Zuversicht wächst mit der Helligkeit. Unvermittelt taucht seitlich des Weges eine Höhle auf. Genauer betrachtet handelt es sich um eine etwa 20 Meter tiefe und doppelt so breite Überdeckung des Geländes. Entstanden ist diese geologische Attraktion sicher durch eine Gasblase unter einst heißer, zähflüssiger Lava. Als Folge jahrhundertlanger Verwitterung fiel der untere / vordere Teil des deckenden Gesteins ein und öffnete so den flachen Hohlraum. Wir rasten, trinken und fotografieren.

Plötzlich huscht sie durch’s Sichtfeld. Eine „Kili-Maus“. Größer als heimische Mäuse und mit unverwechselbaren Längsstreifen auf dem Rücken. Das possierliche Tierchen zeigt sich recht mutig. Vermutlich hat es mit Touristen seine ganz eigenen Erfahrungen: Da bleiben Krümel aus Lunchboxen zurück oder werden ihm in Fütterungsabsicht hinterher geworfen. Bei uns geht sie leer aus, huscht aber dennoch über Trekkingschuhe und zwischen Rucksäcken umher. Wir haben heute keine Lunchbox an „Bord“, uns wurde ein warmes, vom Koch frisch zubereitetes Mittagessen versprochen.

Der Blick nach oben lässt mein Herz ein wenig höher schlagen, der erste blaue Fleck schimmert durch die Wolken. Die „Autobahn“ hat ihren Charakter längst verändert. Aus dem großzügig angelegten Weg ist endlich ein richtiger Bergpfad geworden. Das beantwortet die Frage, warum wir uns hier mit klobigen Bergschuhen abquälen. Gehen und Steigen fordert nun deutlich mehr Konzentration. Als ich den Blick kurz zur Seite wende schießt mir augenblicklich ein Schuss Adrenalin in die Blutbahn! Mein Ausruf kommt heftig und spontan: „Da! Schaut! Der Kibo!“ Unbemerkt und in Sekunden riss die Wolkendecke auf und gibt den Blick zum imposanten Kegelstumpf des Kibo frei. Über seinen Rand blinken dünn und grellweiß die Gletscher. „Wie nah der schon ist!“ Wir haben den Berg zuletzt vorgestern aus der Ebene vor den Chyulus gesehen. Respekt einflößend zwar aber doch weit weg. 3250 Meter zeigt Rolands Höhenmesser. Man könnte den Abstand zum Kraterrand trigonometrisch über fehlende Höhe und den seitlichen Versatz zum Gipfel genauer bestimmen und käme dann auf etwa 10 Kilometer. Die plötzliche Konfrontation mit der Nähe des klotzigen Kibo suggeriert allerdings deutlich weniger Distanz. Zum Greifen nah steht er da … Fotos entstehen. Kibo bildfüllend, Kibo mit Umgebung, Mensch vor Kibo, Gruppe vor Kibo … Und auch die schroff gezackte Spitze des Mawenzi lugt von Zeit zu Zeit über die grasigen Hänge links des Weges. Dazwischen verstellen immer wieder größere, vorbei ziehende Wolkengebilde die Sicht.

Es ist nicht mehr weit bis zur Mittagsrast und ich akzeptiere als Realität, was ich schon seit der letzten Rast wahrnehme. Ungefähr seit wir die 3000 Meter-Marke überschritten haben, fühle ich einen diffusen Druck im Kopf, aus dem nun leichte Kopfschmerzen geworden sind. Kein Zweifel, das ist die Höhe. Dass es so früh losgehen würde, hatte ich nicht erwartet. Da das heutige Camp „nur“ auf 3600 Metern liegt, hatte ich mir eine weitere beschwerdefreie Nacht erhofft. Mal sehen …

Bei schönstem Sonnenschein aber heftigem Wind kommen wir vor der zweiten Höhle (3300 m) an. Außer unserer Mannschaft - die Träger liegen im Gras und ruhen sich aus - sind noch andere hier, um den Trekkern das Mittagessen zu servieren. Zunächst nehmen wir auf den Bänken eines Rastplatzes Quartier. Während sich die anderen ausruhen, gehe ich die paar Meter zur zweiten Höhle und schaue mir auch deren Inneres an: Feuerstellen und ausgebreitete grüne Zweige künden von Nachtlagern, ein penetrant scharfer Geruch vom Missbrauch der Höhle. Das vertreibt mich schnell wieder. Ich wandere ein Stück in die entgegengesetzte Richtung, steige auf ein paar Felsen und schieße ein Bild. Man könnte es „Siesta vor dem Kibo nennen“.

Leider frischt der Wind immer mehr auf und schiebt häufig Wolken vor die „Heizung“. Wir ziehen das geschützte Innere des Esszeltes einem Mahl im Freien vor. Spaghetti gibt es heute, von denen ein gewaltiger Haufen auf großem Tablett ins Zelt gereicht werden. Ich fülle als erster meinen Teller und will das Tablett weiter reichen. Ungeschick dein Name ist „Udo“: Schwups liegen meine Spaghetti im Dreck des Zeltbodens. Gestern war Roland dran mit Fallenlassen und Verschütten. Heute anscheinend ich, und so muss ich die unvermeidlichen Frotzeleien über mich ergehen lassen. Hat mir die Höhe schon das Hirn vernebelt? Also neue Spaghetti auf den Teller. Die Soße verschmähe ich, da sind wieder Paprikaschoten drin.

Als wir nach mehr als einer Stunde Mittagsrast wieder aufbrechen sind meine Kopfschmerzen noch stärker geworden. Kilometer um Kilometer bleibt die Umgebung eintönig. Wir halten auf die Spitze des Mawenzi zu, haben die direkte Aufstiegsroute, die Nalemuru Route, also verlassen. Von den bizarren Felsformationen des Mawenzi ist mal mehr, mal weniger, zu sehen, da uns Geländeformationen vulkanischen Ursprungs zu stetem Auf und Ab mit wenig Höhengewinn nötigen. Apathisch und gleichgültig stapfe ich vor mich hin. Dafür ist mein Brummschädel verantwortlich. Und nach einer guten Stunde fällt dann auch noch der Wolkenvorhang. Mr. Kilimanjaro erklärt die heutige Vorstellung seiner Naturschönheiten für beendet. Nebel, wohin man auch blickt. Fett, undurchdringlich und irgendwann dann auch noch feucht.

Mir reicht es für heute, ich hab keine Lust mehr. Und so bin ich froh, als die ersten Stimmen vom nahen Camp gegen fünf Uhr an mein Ohr dringen. Acht Stunden hat der nicht übermäßig anstrengende Marsch gedauert - Pausen eingeschlossen. Weitergehen in Sachen Akklimatisation ist nicht angekündigt, hätte auch keinen Sinn, weil der Weg zunächst kaum Höhe gewinnt. Stattdessen sitzen wir uns wenig später zur Teatime im Esszelt gegenüber. Popcorn, Erdnüsse und Marie haben heute schon nichts Sensationelles mehr, schmecken aber trotzdem. Genauso wie heißer Pulverkaffee oder Kakao, die die feuchtklamme, vom Nebel verhüllte Außenwelt ein wenig vergessen machen. Ich hoffe, dass Ruhe und Labung die Kopfschmerzen im Laufe der Zeit verschwinden lassen. Aber eines ist klar: Ich werde mich hier nicht quälen! Der Vorrat an Schmerztabletten ist mehr als großzügig und „heldenhaftes“ Aushalten kommt diesmal nicht in Betracht. Notfalls werfe ich mir eben die Maximaldosis pro Tag ein. Mein Körper wird es mir nicht übel nehmen, da ich ihn doch in 50 Jahren mit nur wenigen Medikamenten traktiert habe.

Außer uns sind noch zwei weitere Gruppen im Camp. Matthias’ ausgezeichnetem Englisch ist es zu danken, dass wir über deren Wohl und Wehe gut informiert werden.

Wohl …: Da sind zum einen die englischen „School Girls“ aus der Nähe von Nottingham, deren rührige (und sicher auch mutige!) Lehrerin alljährlich jenen eine Klassenfahrt (!) zum und auf den Kili anbietet, die die nötigen Mühen nicht scheuen. Damit ist natürlich der zehrende Trekk selbst gemeint, vor allem aber das harte Jahr Vorbereitung, in dem sie die erkleckliche Summe für die Unternehmung mit Jobs neben Schule und Hausaufgaben erarbeiten müssen. Im Vorgriff schon ein wenig um Entschuldigung bittend, bereitet uns die Lehrerin darauf vor, dass die „Girls“ viel und auch noch spät in der Nacht in Gekicher verfallen. Allerdings hab ich dann später nichts von ihnen gehört. Wanderung und Höhe scheinen auch auf die „Girls“ ihre „wohltuend einschläfernde“ Wirkung entfaltet zu haben.

… und Wehe: Dann ist da noch die amerikanische Familie, von der wir allerdings zunächst nur „ihn“ zu sehen und zu hören bekommen. Ein entsetzlich lauter, mit breitestem USA- Südstaaten-Akzent schnarrender „Ami“, wie ihn Roland ab jetzt mit wenig Sympathie nennen wird. Der kann leider auch noch ganz gut deutsch, womit er uns in den nächsten Tagen ein ums andere Mal nerven wird. Immer laut und immer schnarrend wie eine alte Tür in rostigen Angeln. Bemerkungen bei Annäherung wie „Hallo Deutschland“ oder „Wie geht es Deutschland“ sind ja harmlos. Als der meist in leuchtendem Orange „bemützte Ami“ dann aber aus purem Übermut einen an unsere „braune Vergangenheit“ gemahnenden Spruch ablässt, ist er bei mir endgültig „unten durch“. Zum Glück habe ich vergessen was er sagte, sonst käme ich noch in Versuchung es hier hinzuschreiben … Dabei hat er eigentlich keinen Grund für aufdringlich zur Schau gestellte Fröhlichkeit. Von seinen drei Kindern (12, 13, 16 Jahre) sind zwei heftig erkrankt. Brechdurchfall der übelsten Sorte. Seit zwei Tagen haben sie nichts gegessen. Ich weiß nicht, was ich an seiner Stelle tun würde. Er jedenfalls denkt keineswegs an Abbruch der Unternehmung. Morgen wollen sie ebenfalls weiter zum Mawenzi.

Trinken, Knabbern, danach Schreiben und ein wenig Ausruhen. It’s dinner time. Drei Gänge verschwinden in hungrigen Mägen. Es schmeckt exzellent. Condrad macht es sich zur Gewohnheit, zwischen Dinner und Schlafengehen eine Vorschau auf den nächsten Tag zu geben. Dieses abendliche „Briefing“ hält er in Englisch und garniert es mit deutschen Sätzen. Generell ist die Aussprache seines Englisch deutlich schlechter, als die der deutschen Wendungen. Aber leider ist sein Wortschatz (noch) zu klein, um uns vollständig im Deutschen zu begegnen. Die Besprechung endet jedes Mal mit Condrads deutsch formulierter Formel „Noch Fragen?“. Dann wünscht er eine gute Nacht und nach kurzer Zeit „verkrümeln“ auch wir uns Richtung Schlafsack. Dieser Moment wird von der Mannschaft sicher jedes Mal herbei gesehnt. Denn erst dann kann „klar Schiff gemacht“ und das Essenzelt von einem Teil der Mannschaft zum Schlafen bezogen werden.

Ich versuche zu schlafen, was mir mehr schlecht als recht gelingt. Die Kopfschmerzen sind hartnäckig und haben sich eher noch verstärkt. So, nun ist Schluss! Gegen 23:45 Uhr schmeiße ich mir die erste Kopfschmerztablette des Trekkings ein. Hinter dem Zelt verschaffe ich mir Erleichterung und die Wahrnehmung eines unvergleichlichen Sternenhimmels, um dann wieder in den warmen Schlafsack zu schlüpfen. Wenig später setzt die Wirkung des Medikaments ein und so schlafe ich tief und erholsam bis zum Morgen durch.