"Mawenzi brennt!"


Die "Sache" mit der Armbanduhr ...


Die "Fünf vom Kilimanjaro"


Senezien nahe der "Horombo Hut"

 


Wunderschönes Tansania ...


Im Regenwaldgürtel des Kilimanjaro


Regenwald - der grüne Traum


Urwaldriesen genannt "Kilimanjarica" - oder so ähnlich ...


Das "Office" von "Marangu Gate"


Urkundenverleihung an die "Kili-Bezwinger"


Unser Team ...


Und das sind die Namen unseres Teams:

Führer:
Condrad Mathew, Guide
Alex Mwakyusa, Assistant Guide
William Francis, Assistant Guide

Köche:
Jackson Kundaeli, Cook
Philip Kilian, Assitant Cook

Träger:
Genes Arobogasi, Chief Porter
Rafael Felix
Evance Leonard
Severine Luca
Proches Paul
Fabian George
Rogasian Christopher
Proches Yuda
Godfrey Hassan
Flumence Patris
John Saitum
Emmanuel Msangi
Gerald Silayo

Über "Marangu Gate" zurück nach "Loitokitok" -
Der Regenwaldtag

Es genügt am Morgen im Zelt die Augen zu öffnen, um vom strahlenden Sonnenschein draußen zu wissen. Und der erste Blick aus dem Zelt bestätigt, dass sich die nieselnden Wolken vollständig verzogen haben. Tief unter uns stehen ein paar Wolkenfelder. Dennoch ist ein Großteil des dem „Kili“ auf tansanischer Seite vorgelagerten Landes einzusehen. Ein geradezu berauschender Fernblick. Wen nimmt es da Wunder, dass wir uns mit einem euphorischen Unterton in der Stimme begrüßen. Die herrliche Welt zu Füßen und die Glückshormone des gestrigen Gipfelsieges im Blut - wir waren auf dem Kilimanjaro! Und schon schweift der Blick dahin, wo „Kibo“ zu sehen sein sollte. Das ist der helle Wahnsinn! Von „Kibo“ lugt nur der obere Teil über den Hang, an dem wir lagern. Und „Kibo“ ist weiß! Dort oben hat es heute Nacht geschneit. Was für ein Anblick! Zu den Glückshormonen jetzt auch noch ein Adrenalinstoß … Auch Mawenzi leistet einen spektakulären Beitrag zu diesem grandiosen Morgen: „Der Mawenzi brennt!“ ruft jemand. Natürlich brennt er nicht und es gibt auch keine Flammen. Aber die vom Wind über seine Spitze, Richtung Südosten, verwehten Wolken nehmen sich gegen das Blau des Himmels wie eine Rauchfahne aus. Fantastisch!

Die Sonne wärmt erfreulich, obwohl wir hier ja immer noch 3700 Meter hoch sind. Der Tisch wieder einmal im Freien gedeckt und so genießen wir das letzte und mit Abstand schönste Frühstück dieses Trekkings. Der Koch hat sich noch einmal mächtig angestrengt: Alex trägt die allseits beliebten „Plinse“ auf und dann auch noch Rührei. Ich bekomme mit, wie Condrad die Träger daran hindert, mit dem Abbau der Zelte zu beginnen. Seine „Clients“ sollen beim Frühstück nicht gestört werden. Aber so, wie wir drauf sind, kann uns heute gar nichts stören, und das sage ich Condrad dann auch. Auf diese Weise komme ich „en passant“ auch zu ein paar guten Bildern von den arbeitenden Trägern.

Nichts kann der guten Stimmung heute etwas anhaben. Nicht mal der Mann mit der Mütze in Orange, der natürlich die Nacht mit seiner Familie auch hier verbracht hat. Der bereichert den Frühstücksgenuss dann auf seine ganz eigene Weise, indem er die Welt wissen lässt, dass das Toilettenpapier ausgegangen ist. Matthias hilft mit einer Rolle und der Bemerkung „take what ever you need“ (oder so ähnlich) aus. Verroht Trekking anerzogene Sitten? - Eine Viertelstunde später legt eines der „American girls“ den Rest der Klorolle mit einem unschuldigen „Thank you very much!“ auf unseren Frühstückstisch … Entweder registriert niemand die etwas merkwürdige Situation oder es ist ihnen wie mir keine Bemerkung wert. Jedenfalls geht das Trinken und Kauen ungestört weiter …

Mein „Jagdinstinkt“ erwacht, als man Alex und Condrad im Gespräch über Alex’ Armbanduhr gebeugt sieht. Rasch wecke ich meine Spiegelreflex und schon hab ich die Szene im Kasten. Göttlich, wie Condrad Alex’ am Handgelenk packt und die Uhr studiert. Wie es scheint, hat seine eigene „Crazy Watch“ tatsächlich das Zeitliche gesegnet. So etwas sollte man vorher wissen, dann könnte man ihm für ein paar Euro eine neue mitbringen. Fast bin ich versucht ihm meine zum Abschied zu schenken, so teuer war die nicht und Schrammen hat sie auch. Aber Ines hat keine Armbanduhr mit und ganz ohne Zeitbezug möchte ich denn doch nicht leben, vor allem auf der Heimreise.

Vor dem Abmarsch stellen wir uns noch einmal für ein Erinnerungsfoto auf. Condrad braucht zwei Anläufe mit meiner Kamera, weil es ihm natürlich egal ist, ob der „Kibo“ im Hintergrund über uns „leuchtet“ oder nicht. Beim zweiten „Schuss“ erwischt er uns dann richtig. 9:15 Uhr: Los geht’s. Wir lassen die „Horombo Hut“ (eigentlich eine Ansammlung von über 20 kleinen, durchaus hübschen Hütten) hinter uns. Weit kommen wir nicht. Gleich hinter der nächsten Wegbiegung zieht ein Geländeeinschnitt aus Richtung „Mawenzi“ herunter, in dem ein herrlicher Bestand von Senezien gedeiht. Große, prächtige Exemplare der „intelligenten“ Pflanze kann ich im kraftvollen Morgenlicht mit der Kamera festhalten. Die Wanderung wird uns zum puren Vergnügen - nicht im mindesten anstrengend, von der Sonne ausdauernd verwöhnt, mit konstant schönem Blick in tiefere Lagen und auf die Natur am Wegrand belohnt. Gespräche über dies und das unterhalten uns zusätzlich. Doch dann machen Inge und Roland einen Fehler. Sie stellen mir eine Fachfrage zu meinem Lieblingsthema, dem Lauftraining. Ines, die meine diesbezüglichen „Kurzvorträge“ schon kennt, beschleunigt ihre Schritte und bringt sich außer Hörweite …

Immer wieder muss ich meine „Ausführungen“ für Fotos von Umgebung oder Trägern mit Lasten auf dem Kopf unterbrechen. Ganz langsam verändert sich die Vegetation, erste Bäume stehen in der Heidelandschaft. Nach gut anderthalb Stunden wird der Weg auch immer feuchter, bisweilen droht man sogar auf dem lehmigen, roten Untergrund auszurutschen. Erstes Zeichen für ergiebige und nicht seltene Niederschläge in dieser Region. Die Vorhut der Gruppe mit Ines, Matthias, Condrad und Alex ist schon lange nicht mehr zu sehen. William fordert uns auf etwas schneller zu gehen. Er hat Angst, wir erlebten sonst am Nachmittag, warum der Regenwald „Regenwald“ heißt. Kurz nachdem die Gruppe wieder zusammen gefunden hat, wird der Bewuchs höher und dichter. An und in den Bäumen wachsen Moose und wehen Flechten, Gräser sind deutlich höher und grüner. Einen Bach überwinden wir über eine kleine Brücke. Alles Zeichen für häufigen und starken Regen, die Vorboten des Regenwaldes.

Es kann nun nicht mehr weit sein bis zur „Mandara Hut“ (2700 m), wo die Mittagsrast vorgesehen ist. Dann tauchen wir endgültig in den Regenwald ein. Die Bäume erreichen hier Wuchshöhen von zwanzig Metern und mehr. Auf einer Lichtung hat man die Gebäude der „Mandara Hut“ errichtet. Schon vor dem Betreten des Geländes hört man „Baustellenlärm“. Eine weitere Holzhütte wird gerade gezimmert. Auch der „Ami“ mit Familie ist hier. Sie sitzen im Gras und lassen sich den Lunch schmecken. Wir stapfen erst ein bisschen unentschlossen herum, setzen uns schließlich auf eine erhöhte Terrasse und packen die Lunchboxen aus. Unwillkürlich überfällt mich ein Anflug von Panik, als ich einen Schwarm wilder Bienen entdecke, der sich vor der Terrasse sammelt. So etwas habe ich noch nie erlebt. Es sieht aus, als könnten sie sich im nächsten Moment zu hunderttausenden auf uns stürzen - was sie natürlich nicht tun. Stattdessen verschwindet der Schwarm zwischen den Bäumen des nahen Waldrandes. Der Spuk dauerte nur Sekunden. - Satt und zufrieden geht’s ans Geldzählen. Ines und ich sammeln die Trinkgelder ein und verteilen sie in Umschläge: Einen für jeden Guide, einen für die Köche und den letzten für die Träger. Und schon mahnt Condrad zum Aufbruch, um 13:30 Uhr, nach einer Stunde Rast.

Kaum hat uns der Wald wieder „verschluckt“, als der Weg gefährlich glitschig und schlammig wird. Sogar kleine Pfütze stehen hie und da im Morast. Höchste Konzentration ist angesagt, sonst steckt gleich jemandes Nase im Dreck … Zum Glück bessert sich der Zustand wieder, denn meine Aufmerksamkeit richtet sich mehr und mehr auf die üppig grüne Szenerie um mich her. Unglaublich schön ist dieser Regenwald! Eine Orgie ineinander verwobener, miteinander verwachsener Bäume, Farne, Moose, Blatt- und Schlingpflanzen. Bisweilen dringt kaum ein Lichtstrahl zum Boden und der Kamerablitz muss das Foto aufhellen. Nur wenige Meter weiter hat ein umgeschlagener Baumriese eine Lichtung geschaffen, die längst von ungebremstem Wachstum eingenommen ist. Hier steht ein mächtiger Baumfarn, daneben plätschert ein Urwaldbach und dort drüben überwuchern Parasitpflanzen Stämme und Äste eines Baumes. Viele der Blattpflanzen erinnern an Gewächse, die man aus dem Wohnzimmer daheim kennt. Jetzt hat es mir ein kleiner Wasserfall angetan, dann wieder eine malerisch schräg durchs Bild verlaufende Liane. Ich bin vollkommen aus dem Häuschen und schieße Foto um Foto. Die Gruppe ist verschwunden. Aber das ist mir egal. Ich liebe Wald, und ich bin vernarrt in diesen Regenwald … Dann finde ich Ines wieder, die ein wenig auf mich gewartet hat und teile ihr meine Begeisterung mit. Mein innerer Aufruhr will sich einfach nicht legen inmitten dieses irrsinnig schönen Traums in Grün.

William benennt einen der mächtigen Bäume als „Kilimanjarica“ (keine Ahnung, ob das so geschrieben wird). Er hat von allen Bäumen den dicksten Stamm und es gibt ihn wohl auch nur am Kilimanjaro. Ich frage ihn, ob es heute noch regnen wird, denn seit geraumer Zeit schieben sich immer wieder dicke Wolken vor die Sonne. Seiner Erfahrung gemäß verneint er, und ich hoffe er behält recht. Zahllose Träger, Guides und Touristen begegnen uns. Die werden übermorgen auch den Sturm auf das Dach Afrikas versuchen … In tieferen Lagen steigt auch die Zahl der Regenwaldspaziergänger: Touristen, die allesamt von Guides begleitet werden, weil das Betreten des Nationalparks nur mit Führer gestattet ist. An einer Wegkreuzung wartet Condrad und schart seine Truppe um sich. Eigentlich hätten Köche und Träger hier warten sollen, um sich von uns zu verabschieden. Das klingt ein bisschen komisch - war’s wirklich so? Jedenfalls ist da niemand. Also weiter. Der Regenwald wird lichter, Artenreichtum und Wildwuchs nehmen ab. Um 16 Uhr, nach zwei und einer halben Stunde grünem Traum, erreichen wird den Waldrand und damit „Marangu Gate“. Hohe, schnell wachsende, und von Menschenhand wegen des Holzertrages gepflanzte Eukalytusbäume verkünden den sprunghaften Wechsel der Vegetation von Natur auf Kultur.

Was ist „Marangu Gate“? - Ein Zugang, durch den man nur dann in den Nationalpark darf, wenn man die Gebühr für Aufenthalt und Guide bzw. Trekkingmannschaft entrichtet hat. Dann steht da noch das Haus der Verwaltung, in dem Condrad sofort die Austellung der Urkunden veranlasst. Jeder Gipfelsieger wird mit einer offiziellen Urkunde als Besteiger des „Uhuru Peak“ geehrt und registriert. Dem Office gegenüber steht eine Art Kiosk, in dem es alles zu kaufen gibt, was der abgekämpfte oder vor dem Abenteuer noch frische Trekker so braucht: Bier, Cola, T-Shirts, Mützen, Ansichtskarten, Souvenirs, Karten, Poster und … Briefmarken. Irgendwer macht den tollen Vorschlag, doch hier die Briefmarken für die Ansichtskarten zu kaufen. Was unter anderen Ines gleich in die Tat umsetzt. Höhenluft scheint gefährlich zu sein! Erst Matthias geht dann ein Licht auf: Wir sind in Tanzania, müssen die Karten heute Abend oder morgen erst noch schreiben und letztlich in Kenia einwerfen … Also werden die Briefmarken wieder zurück gegeben. Alles in allem macht beim Wechselmanöver (bezahlt mit Keniashilling, Dollar zurück bekommen) die Partei des Verkäufers ein kleines Plus.

Dann will Condrad plötzlich jene Kritikbögen einsammeln, die uns am ersten Tag vom Manager in Nalemoru ausgehändigt wurden. Die Umschläge, in denen die Bögen steckten, habe ich zum „Geldeintüten“ missbraucht. Im Stehen und auf dem Geländer der Anlage als Unterlage füllen Roland und ich den Wisch noch schnell aus. Die meisten Fragen können wir ohnehin nicht beantworten. Woher sollen wir beispielsweise wissen, ob „die Träger während des Trekkings ausreichend zu essen bekommen haben“? Das Ganze ist reichlich seltsam und riecht ein wenig nach Alibi. Condrad hätte ja gestern Abend noch einmal auf den Zettel hinweisen können, dann wäre Zeit gewesen, sich in Ruhe mit den Fragen zu beschäftigen. - Endlich sind die Formalitäten bei der Verwaltung erledigt und alle Einkäufe im Shop getätigt. Condrad führt uns aus dem Gelände zum Parkplatz, wo die Mannschaft schon auf uns wartet.

Die folgenden, sicher immer gleichen Rituale vollziehen sich mit einer gewissen Eile, gewissermaßen unter Druck, weil unser Fahrer Ali mit dem Kleinbus schon wartet und wohl auch drängelt. Der zweite, wahrscheinlich gewichtigere Grund ist die Ungeduld der Mannschaft selbst, deren Bus ebenfalls bereit steht. Außerdem mussten sie sicher länger auf uns warten und wollen nach Hause zu ihren Familien. Den ersten Akt der Zeremonie bildet eine kleine an uns gerichtete Ansprache Condrads und die Verleihung der Urkunden. Mit Handschlag und unter dem Beifall des ganzen Teams nimmt jeder seine Urkunde entgegen. Danach übergebe ich mit ein paar Sätzen des Dankes die Umschläge mit den Trinkgeldern an Condrad. Zugleich bitte ich ihn, der Mannschaft unsere Zufriedenheit und den Dank aller für die schöne Zeit und die gute Betreuung mitzuteilen. Nachdem die Umschläge an ihre Adressaten übergeben sind, geht alles etwas drunter und drüber. Während wir Condrad fragen, wo unsere „Geschenke“ abgelegt werden sollen, wird im Hintergrund hektisch der Inhalt der Umschläge überprüft, gerechnet und wohl auch aufgeteilt. Aus dem Augenwinkel beobachte ich den Chef der Träger Genes bei dieser Arbeit. Es ist Sitte, dass Touristen nicht mehr benötigte Ausrüstung am Ende des Trekkings an das Team verschenken. Condrad äußerte zuvor, dass er die Gegenstände in Form einer Tombola verteilen wolle. Da liegen dann Ines’ und meine Fleecejacke, meine Stirnlampe, sowie diverse Dinge der anderen im Gras. Ines und ich passen einen Moment ab, um den beschäftigten „Chief Porter“ Genes beiseite zu nehmen. Er hat sich immer in besonderer Weise um uns beide gekümmert und so haben wir entschieden, ihm ein besonderes Geschenk zu machen. Er bekommt Ines’ Rucksack, der zwar in bestem Zustand ist, ihr aber noch nie richtig gepasst hat. Genes freut sich wie ein Kind und strahlt übers ganze Gesicht. Die Gruppe haben wir am Abend vorher von dem beabsichtigten Geschenk unterrichtet, damit keine Irritationen entstehen. Und jetzt teile ich auch noch Condrad mit, dass der Rucksack speziell Genes zugedacht ist. Wir wollen auch keine Zwietracht in den Reihen der Mannschaft sähen. - Es ist schwierig, den Männern mit Handschlag Lebewohl zu sagen und „Good luck“ zu wünschen. Alle laufen durcheinander und diverse Geldangelegenheiten sind noch zu regeln. Schließlich schaffen wir aber auch das noch und besteigen endlich den Bus. Abfahrbereit kann ich beobachten, wie Träger, Köche und Guides ihrem knallgrünen Bus zustreben. Da haben wir uns wohl ein paar Gedanken zuviel gemacht, was die gerechte Verteilung der Ausrüstung angeht. Eine Tombola kann es nicht gegeben haben, so etwas dauert länger als ein, zwei Minuten. Jedenfalls hat Condrad meine Fleecejacke ergattert, was ich für sinnvoll halte, weil sie keinem der eher schmächtigen Träger gepasst hätte. Condrad ist zwar auch schmal aber hochgewachsen. Meine Stirnlampe hat William ergattert und Ines’ Jacke ging an einen der Träger. Ich kann nicht anders als ein gutes Gefühl zu haben, denn die Trennung von meiner Fleecejacke fiel mir ungemein schwer. Loswerden wollte ich das schöne Teil eigentlich nur, weil sie mir etwas zu weit ist. Nun bleibt sie in Tansania und wird wohl den höchsten Punkt Afrikas noch einige Male zu sehen bekommen …

Was nun folgt werde ich so schnell nicht vergessen. Blöderweise habe ich mich im Bus ganz nach hinten gesetzt. Der Platz ist etwas erhöht, und die Knie stoßen am Vordersitz an. Zunächst macht mir das nichts aus. Die ersten Kilometer durch Marangu fahren wir über eine asphaltierte Straße in gutem Zustand. Doch noch im Ort hört die plötzlich auf. Nun folgen ca. 60 km (!) auf der fürchterlichsten Piste, über die man mich je chauffiert hat. Es haut mich serienweise auf meinem Sitz hin und her. Mal knalle ich an die Seitenwand, dann mit den Knien gegen das Gestänge des Vordersitzes, bald muss ich mich mit aller Gewalt abstützen, um nicht zur Gänze nach vorne zu rutschen. Und Ali gibt Gas, Gas und noch mal Gas! Diese Piste besteht eigentlich nur aus Löchern, Steinen und vom Wasser ausgewaschenen Rinnen. Es ist nicht einfach nur unbequem, es kostet unheimlich Kraft, sich in aufrecht sitzender Position zu halten und so selten wie möglich die Kontrolle zu verlieren, denn dann tut’s weh. Irgendwie ist es mir gelungen die Karte vom Kilimanjaro aus dem Rucksack zu nesteln. Ich möchte einfach mal sehen, wie lange die Tortur noch dauert. „Mrere“, „Olele“, Usseri“, so heißen einige der Stationen dieses „Leidensweges“. So sehr habe ich niemals zuvor das Ende einer Fahrt ersehnt.

Ich registriere dennoch die allgegenwärtigen Reklameschilder von Coca-Cola. Sogar die Ortstafeln (!) sind von der schwarzen Limonade gesponsert, worüber ich aber erst nachdenke, als Matthias später anmerkt, ihn habe erschreckt, welchen Einfluss die Getränke-Company in diesen Ländern hat. Schade, dass wir durch dieses bunte und interessante Land so rasen müssen. Zu viele Bilder in wahnsinnig kurzer Zeit drängen auf mich ein, zeichnen aber keine dauerhafte Erinnerung. Ein sich beständig drehendes Kaleidoskop mit Menschen, Behausungen, Feldern und Landschaften. Und überall entlang der Strecke erregt der kleine Bus mit den Weißen Aufsehen, winken Kinder, folgen uns neugierige Blicke.

Die Sonne hat sich seit der Abfahrt nicht mehr sehen lassen, und nun setzt die Dämmerung ein. Wir werden den Grenzübertritt also bei Dunkelheit erleben. Egal - nur ankommen! In der Ortschaft „Tarakea“ zweigt Ali von der Hauptpiste ab und steuert Richtung Grenze. Wir werden also nicht bis Nalemuru fahren und Tansania dort verlassen, wo wir es vor fünf Tagen betraten. Es ist fast dunkel, als der Bus vor der Grenzstation hält und Ali mit unseren Pässen aussteigt. Ausdauernde Leser werden wissen, was nun zwangsläufig geschieht. Richtig! Ali kommt mit Ausreiseformularen zurück, die wir eilig ausfüllen. Insgesamt geht das aber recht schnell, und bald rollt der Bus in völliger Dunkelheit weiter zum kenianischen Zollhäuschen. Die geschlossenen Grenztore sorgen erst für ein bisschen Verwirrung, schließlich öffnet sich aber doch noch ein Durchlass auf der Gegenfahrbahn und Ali parkt vor dem Einreisebüro. Eine ziemliche Weile bleibt Ali verschwunden. Ist der zuständige Beamte schon nach Hause gegangen? Nach einer Viertelstunde kehrt Ali in Begleitung eines „picobello“ in Anzug und Krawatte gekleideten Offiziellen zurück. Jovial und über das ganze Gesicht breit lachend, fasst er unsere Situation und seine Entscheidung etwa so zusammen: „Sie kommen vom Kilimanjaro, sind müde, hungrig und wollen duschen. Also wird ihr Fahrer die Einreiseformalitäten morgen für sie erledigen! Ist das ok?“ - Und ob das ok ist - nur vermute ich den Grund für dieses Zugeständnis eher im Unvermögen den zuständigen Beamten für die „Stempel“ heute noch beizubringen. Dennoch zeigt dieses Vorgehen eines Offiziellen einmal mehr, wie willkommen die Anwesenheit der Fremden (der Devisenbringer?) in diesem Land ist.

Das Leiden ist zu Ende. Die Straße von dieser kleinen Grenzstation bis nach Loitokitok ist asphaltiert. Ein Segen für meine Knochen. Nach wenigen Minuten, um 19:20 Uhr, hält der Bus auf dem Parkplatz der bekannten „Kibo Slopes Cottages“. Matthias handelt auf seine unnachahmliche Weise ausreichend Zeit bis zum Abendessen aus (Nicht ganz einfach für das Haus, weil wir die einzigen Gäste sind und alle Angestellten nach Hause wollen).

Wir bekommen dieselben Zimmer wie vor fünf Tagen. Duschen! Einmal und dann noch einmal! Bis auf die Hände, vor allem im Bereich der Fingerkuppen und -nägel, kriege ich den Dreck runter. Erfahrungsgemäß werden auch diese Schmutzränder nach ein paar Waschgängen verschwunden sein. - Was ist DAS denn? Ganz zum Schluss bemerke ich an meiner Leiste einen dunklen Punkt, von einer leichten Hautrötung umgeben. Verdammt eine Zecke! Ich schnappe mir meine Brille, und der Verdacht bestätigt sich. Ines erlebt dann ein paar besorgte Minuten, bis das Biest herausgedreht ist. Wie so was geht wissen wir beide von einer Million Zecken, die unserem Hund schon zu entfernen waren. Aber sie will auf keinen Fall riskieren, dass ein Teil des Kopfes in der Wunde bleibt. Winzig klein ist der Parasit, hat also noch keine Ader zum saugen gefunden. Schließlich gibt er auf, und ein kleines Loch mit rotem Kranz bleibt zurück. Alles entfernt! Wundsalbe drauf, ein Pflaster drüber, fertig! Ich hatte zu Hause schon mehr Zecken. Also nichts Besonderes. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Bereits einen Tag nach er Rückkehr in Deutschland werde ich an einer rätselhaften Schwäche, begleitet von abendlichem Fieber, irrsinnigem Schwitzen in der Nacht, Kopfschmerzen am Morgen und ein paar Flecken am Körper erkranken. Vermutlich handelt es sich um von der Zecke übertragenes Fleckfieber, das mit einem Antibiotikum zwar sofort „erschlagen“ wurde, mir jedoch noch ein paar ungewollt arbeitsfreie Tage verschaffte.

20:15 Uhr, Abendessen: Mehrmals schon haben wir uns gefragt, wie ein Mensch so langsam gehen kann! Die Farbige braucht endlos lange, bis sie die diversen Getränke, Teller, Schüsseln und Schalen aufgetragen hat. Ihrer im Zeitlupentempo verschleppten Bewegungen wegen, hat sie schnell den Spitznamen „Schildkröte“ weg. Aber das ist uns so was von egal! Erfolgreich kehrten wir vom „Kili“ zurück, sind voller toller Erlebnisse und in Feierlaune. Wir Männer trinken Bier. Kenianisches Bier, „Tusker“, mit einem Elefantenkopf auf der Flasche. Eins und dann noch eins. Nach dem Essen sitzen wir noch ein paar Minuten zusammen und beschließen, den Abend mit kleiner, improvisierter Feier im Apartment von Roland und Matthias ausklingen zu lassen. Aber dazu brauchen wir noch was zu trinken. Die Bedienung ist schon nach Hause gegangen, sicher in höherem Tempo als sie uns auftrug. Matthias findet nur noch den Koch in der Küche beim Saubermachen. Der weiß dann tatsächlich, wo der Laden noch eine Flasche italienischen Sekt „versteckt hält“ und kann auch noch ein Bier auftreiben. Dann sind die Alkoholvorräte der „Kneipe“ erschöpft. Aber das reicht zum Anstoßen, und gutgelaunt verziehen wir uns nach einer Stunde unter die Moskitonetze.